Mittwoch, 1. September 2010

7. Argument: Tiere fressen einander auch...

Behauptung: 

Weil Tiere sich gegenseitig fressen, dürfen wir auch Tiere essen. In der ganzen Natur herrscht das Recht des Stärkeren, und wir

sind doch auch ein Teil der Natur. Und da wir nun einmal stärker sind als die Tiere, ist es ganz natürlich und deshalb auch moralisch in Ordnung, wenn wir Tiere essen.

Gegenargument:

7.1 Zunächst ist an dieser Argumentation interessant, dass gerade diejenigen, die ansonsten immer die Sonderstellung des Menschen betonen («Krone der Schöpfung», «Gottebenbildlichkeit», «Vernunftbegabtheit» usw.), also die Unähnlichkeit mit dem Tier, hier auf einmal mit einer angeblichen Ähnlichkeit mit dem Tier argumentieren: Wir sind im Grunde auch Tiere, und Tiere fressen einander nun einmal.

Aber ausgerechnet hier, in bezug auf das Fleischessen, gibt es zwischen Mensch und Tier keine Ähnlichkeit: Tiere (genauer: die fleischfressenden Tiere!) müssen Fleisch essen, Menschen nicht. Der Mensch hat eine Entscheidungsmöglichkeit, das Tier nicht. Der Mensch kann moralisch handeln, das Tier nicht: «Tiere können nichts, was sie nicht dürfen, aber der Mensch kann eine Menge Dinge tun, die er nicht darf» (Konrad Lorenz). Kurz: Tiere können nicht unsere moralischen Vorbilder sein, weil Tiere nicht moralisch handeln können.

7.2 Aus der «Natürlichkeit» einer Sache folgt nicht ihre psychologisch Notwendigkeit. Ansonsten wäre es ja zum Beispiel absolut irrational und sinnlos, sich gegen den Krieg und für den Frieden einzusetzen, da Kriege zu führen auch «natürlich» ist. Hier unterstellen wir vernünftiger- und richtigerweise auch, dass der Mensch fähig ist, den «natürlichen» Hang zum Krieg im Zuge einer Weiter- und Höherentwicklung zu überwinden.

7.3 Aus der «Natürlichkeit» einer Sache folgt nicht ihre moralische Richtigkeit (ebensowenig wie aus der «Künstlichkeit» einer Sache ihre moralische Falschheit folgt). Ansonsten dürften
wir nicht Naturkatastrophen bekämpfen oder Armen, Schwachen und Behinderten helfen - zumindest nicht, wenn ihre Armut, Schwäche oder Behinderung «natürlich»entstanden ist. Auch dürften wir keine Schulen bauen und keine Wissenschaft und Kunst betreiben. Kurz: Wenn wir «Natürlichkeit»als moralische Richtschnur akzeptierten, dann dürften wir all das nicht tun, was den Menschen erst zum Menschen macht.

7.4 Wir akzeptieren das «Recht des Stärkeren» ohnehin nicht als moralische Richtschnur! Im gesamten, ethischen und rechtlichen Denken besteht, wie Gotthard M. Teutsch ganz richtig bemerkt, weitgehend Einvernehmen darüber, «dass Überlegenheit zwar Macht, aber niemals moralisch begründetes Recht verleiht»: Kein zivilisierter Mensch beruft sich in moralischen Fragen auf das «Recht des Stärkeren»; niemand rechtfertigt seine Handlungen damit, dass er sie ausführen kann. Denjenigen, der Schwächeren seinen Willen aufzwingt, sehen wir - zu Recht - nicht als moralisch gerechtfertigt an, sondern als einen rücksichtslosen Barbaren.

7.5 Du willst Dich also mit Raubtieren wie Löwen und Tigern vergleichen? Wir haben keine Raubzähne oder Krallen, um unsere Opfer zu zerfetzen. Eher im Gegenteil, denn unsere rechteckigen Mahlzähne sind für das Zermahlen von Getreide und anderer pflanzlicher Kost geradezu geschaffen. Außerdem ist wissenschaftlich erwiesen, daß die Darmlänge für das Verdauen von bestimmter Nahrung sehr entscheidend ist. Unser relativ langer Darm eines Pflanzenfressers ist ebenso ungeeignet für die Verdauung von schnell faulendem Fleisch wie der kurze Darm des Tigers für die Verdauung eines Frischkornmüslis. Hier mag Widerspruch kommen, der sich zum Beispiel so liest: "Unser Darm ist nur bedingt geeignet, um Pflanzen zu verdauen. Ohne die Coli - Bakterien in unserem Darm wäre das fast gar nicht möglich. Für den Menschen ist es leichter, Fleisch zu verdauen, da die Anordnung der Aminosäuren in den Nährstoffen der des Menschen sehr ähnlich ist. Deshalb ist auch der Aufwand zur Umwandlung in körpereigene Nährstoffe geringer." Ein Grund, wieso tierische Nährstoffe in der Regel leichter zu verdauen sind, ist, daß diese Nährstoffe schon von den Tieren "vorverdaut wurden". Durch diese menschliche Zweitverwertung gehen aber viele Nährstoffe verloren, die das Tier selber verbraucht hat. Sprich: der Mensch würde vom dem Getreide viel mehr haben, wenn er es direkt zu sich nimmt, als wenn er ein Tier "zwischenschaltet" und dessen Fleisch ißt. Widerspruch kommt auch manchmal schon bei der Bemerkung, daß Menschen keine Raubzähne mehr hätten. Zum Beispiel "Wir haben sehr wohl Reste von Reißzähnen (nämlich unsere Eckzähne) die wir als reine Pflanzenfresser so wohl nicht benötigt hätten." darauf kann aber erwidert werden: Aber wie gesagt nur Reste. Mit diesen Rudimenten wäre kein Mensch in der Lage, sich in die Haut einer Kuh oder gar eines Schweines zu bohren, dem Tier das Genick zu durchbeißen oder es an Blutverlust sterben zu lassen und danach sich das Fleisch portionsgerecht einzuverleiben. Interessant wäre auch, zu sehen, ob nicht schon die Menschenaffen solche rudimentären Reißzähne besitzen. Davon ausgehend, daß unsere Reißzähne im Vergleich zu denen der Menschenaffen, die trotz weniger Ausnahmen zum großen Teil vegetarisch leben, einfach nur lächerlich sind, kann mensch annehmen, der die Menschen noch viel mehr für den Vegetarismus prädestiniert sind.

Außerdem jagen sich die Tiere ihre Mahlzeiten selber. Würdest du immer noch Kühe essen, wenn du ihr erst in die Augen schauen müßtest und ihr dann das Messer durch die Haut jagst und während ihren Todesschreien das Blut aus der Wunde spritzt?

Hier kann der Einwand kommen, daß es in unserer "hochzivilisierten, arbeitsteilenden" Gesellschaft einfach nicht mehr nötig wäre. Ob die Menschen das Tier trotzdem töten würden, bleibt dahin gestellt. Der Einwand der Arbeitsteilung ist nur bedingt richtig, da es ja um das Schlachten des Tieres und nicht um das Teilen der Arbeit geht. Du erntest dein Gemüse auch nicht selber. Die Arbeitsteilung kann total vegetarisch betrieben werden, das Schlachten erfordert aber immer ein Tier, das stirbt. Ein anderer Einwand ist das Vorhandensein von Aasfressern, die Fleisch essen, es aber nicht selber töten. Das ist in der Tierwelt nur ein statistisch zu vernachlässigender Teil. Mehr siehe "Ich töte die Tiere ja nicht selber." Desweiteren ist es sehr verwunderlich, daß gerade die Menschen, für die der Mensch dem Tier gegenüber höhergestellt ist, sich plötzlich mit fleischfressenden Tieren vergleichen und sich somit wieder auf eine Stufe begeben. Wenn der Mensch sich durch andere Tiere durch mehr (?) Intelligenz unterscheidet, wieso sollte er dann nicht einsehen, daß Fleisch für seine tägliche Ernährung unnötig ist und deshalb davon ablassen? Jeder Mensch ist eine freie Persönlichkeit, die ab einem gewissen Alter selbständig denken und handeln kann. Fleisch nur deshalb zu essen, weil dies einige Tiere tun, ist kein schönes Beispiel für die kulturelle und soziale Weiterentwicklung des Menschen. Einerseits versuchen einige Menschen, ihren
Fleischkonsum damit zu begründen, daß sie als Menschen das Recht dazu haben, weil sie viel fortgeschrittener etc. sind, aber anderseits wollen sie sich wieder auf die Tierwelt berufen, daß die es ja genauso machen. Einige Tiere wälzen sich auch im Schlamm oder essen Würmer. Nur deshalb brauchen wir es doch nicht genauso zu machen!

Außerdem fressen nicht alle Tiere andere Tiere. Der überwiegende Teil der Tiere besteht aus Pflanzenfressern, leben also vegetarisch. Außerdem ernähren sich die Fleischfresser auch selber wiederum nur von Pflanzenfressern, ohne diese könnten sie also gar nicht existieren. Andersherum wäre das aber gut möglich. Hinzu kommt, daß fleischfressende Tiere gar keine andere Möglichkeit haben, außer Tiere zu essen. Erstens, weil die Umgebung selber manchmal nicht genug Pflanzen hergibt und zweitens, weil das Verdauungssystem dafür nicht geschaffen ist und sie die Nährstoffe der Pflanzen nicht verarbeiten könnten. Wenn Menschen sagen, der Mensch sei Allesfresser, kann also alles essen, so mag das richtig sein. Er kann alles essen, muß aber nicht. Wir haben uns so weit entwickelt, daß wir ohne Probleme auch ohne tierische Nahrung auskommen können. Mehr dazu im Gegenargument zu "Menschen haben schon immer Fleisch gegessen".

Ein Einwurf soll noch kommen: Wir hatten auf dieser Seite damit argumentiert, daß der Mensch von den vegetarisch lebenden Menschenaffen abstamme. Das stimmt nicht. Erstens haben Menschenaffen und Mensch gemeinsame Vorfahren, stammen aber nicht voneinander ab. Zweitens, und das war der Hauptkritikpunkt, leben nicht alle Menschenaffen streng vegetarisch. Gern wird als Beispiel der Schimpanse heran zitiert. Er jagt unter anderem auch kleine Vögel und andere Tiere und schreckt auch vor Kannibalismus nicht zurück. Nachdem wir also mit den vegetarischen Affen argumentiert hatten, wurden wir mit den zeitweise kannibalistischen Schimpansen widerlegt. Widerlegt? Wir glauben, nicht ganz, denn Schimpansen können wohl doch nicht mit Menschen verglichen werden, denn wer will den Menschen einen Hang zum Kannibalismus unterstellen. Es mag Ausnahmen geben, daraus aber Argumente für Fleischesser herzuleiten, wird schwer sein. Und noch mehr Worte zu den Menschenaffen. Schimpansen sind nicht gleich Schimpansen. Steppen-Schimpansen neigen eher zum Fleischkonsum als Waldschimpansen. Auch Der Orang-Utan ißt ab und zu kleine Vögel. Gorillas und Gibbons leben trotzdem rein vegetarisch.

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